Gigerheimat:
Ein Porträt von aussen

 

Ein Porträt des Zukunfts-Philosophen im heimischen Magazin:

 

Der Zukunft auf der Spur

ANDREAS GIGER, ZUKUNFTSPHILOSOPH UND PORTFOLIOWORKER, MIT ADRESSE IN REHETOBEL UND IM WWW. SPLITTER AUS EINEM DENKERHIRN, BILDER ZUR ARBEITSWELT VON MORGEN.

Der Mann ist präsent. In den Medien und im elektronischen Netz ebenso wie im persönlichen Kontakt. Da ist und sitzt einer, der Teile unserer Zukunft erforscht; einer der unterschiedliche Informationen aus den verschiedensten Bereichen zusammenführt, daraus "E-Mails aus der Zukunft" zu generellen oder spezifischen Themen schreibt - einer, der in einigen Bereichen schon lebt, was vielleicht in fünfzehn Jahren breitere Realität sein könnte.

Andreas Giger studierte in Zürich Sozialwissenschaften, seinen Weg hin zur Beschäftigung mit der Zukunft beschreibt er als persönliche Evolution. Nach zwei Semestern Geschichte befand er, die Gegen wart interessiere ihn doch mehr; dieser widmete er sein Hauptaugenmerk bis in die Achtzigerjahre. Er arbeitete in verschiedensten Feldern, etwa als Sozialwissenschaftler, Politiker, Magazin-Herausgeber, Unternehmensberater, Ghostwriter oder als Management-Trainer. Im Jahre 1989 schrieb er für das grösste Markt- und Meinungsforschungsinstitut der Schweiz einen fiktiven Dialog zwischen dem damaligen Geschäftsleiter eines Betriebs und dem, der im Jahre 2001 die Führung inne hat. In der Folge entstanden weitere solcher "Prä-Visionen", für verschiedene Unternehmen, zunehmend aber befiel ihn leises Unbehagen, weil doch gewisse Glaubwürdigkeitslücken aufschienen.

Das war der Moment, in dem ein Ast seiner Interessen wieder an Bedeutung gewann: die empirische Sozialforschung. Er gründete "SensoNet", ein Netz von rund 350 zukunftssensiblen Laien, welche regelmässig zu ihren Zukunftsbildern befragt werden. Die Befragten bezeichnet Andreas Giger als Menschen mit einem hohen Interesse und Bewusstsein für künftige Entwicklungen und als in mindestens einem Zukunftsfeld tätige Menschen. Solche Felder können unter vielen anderen Ernährung, Medizin, Werte, Geld oder Zusammenleben sein. Die "SensoNet"-Befragten ihrerseits schätzen die Fragestellungen als Denkauslöser, als Input zur Frage Zukunft. Mit den so gewonnenen Erkenntnissen und verbunden mit dem eigenen Wissen berät der Zukunftsphilosoph namhafte Unternehmen in Deutschland und in der Schweiz in den Bereichen Marketing und Kommunikation. Natürlich bestimmen nicht allein Gigers Erkenntnisse den Fortgang und die Geschicke dieser Firmen: Sie sind ein Mosaikstein neben der Geschichte des Unternehmens und Einflüssen aus Politik, Umwelt oder technischen Entwicklungen.

In Ihren Skizzen zur Arbeitswelt von morgen hat sich as Angestellten-Dasein zum Lebensuntemehmertum gewandelt. Was heisst das konkret und wie begründen Sie diesen Wandel?

Die Zahl der Menschen, welche in einem konventionellen Anstellungsverhältnis stehen, nimmt kontinuierlich ab. Die Gründe sind vielfältig: Einerseits kaufen Arbeitgeber Wissen und Können oft nur für bestimmte Projekte, für einen begrenzten Zeitraum - sie kaufen Leistungen, statt wie früher Menschen anzustellen. Die Lebensgestalterin andererseits möchte sich weder auf einen Arbeitgeber noch auf ein Interessengebiet beschränken. Man ist vorübergehend angestellt, arbeitet temporär an Projekten mit wechselnden Partnern und Teams - auch an eigenen Lebensprojekten - und versucht, die verschiedenen Standbeine zu einem stimmigen Ganzen zu verschmelzen. Natürlich werden auch im Jahre 2015 nicht plötzlich alle in dieser Art arbeiten, Mischformen werden sich aber längerfristig immer mehr durchsetzen. Schon heute sinkt die Verweildauer in einer Anstellung, mindestens in anspruchsvolleren Berufen.

Diese neuen Formen fordern vom einzelnen Menschen hohe Sozial- und Fachkompetenzen, verbunden mit der Fähigkeit, sich selbst zu vermarkten. Wer schafft das?

Unbestritten ist die Aussicht, zum Lebensunternehmer oder zur Anbieterin eigener Kompetenzen zu werden, nicht für alle Menschen attraktiv. Freiheit und Autonomie haben ihren Preis: den Verzicht auf Sicherheit und Beständigkeit, der Verlust einer (wohl oft einseitigen, Anm. L.T.) Identifikation mit einem Betrieb, einer Philosophie oder einem Berufsstand. An die Stelle einer eingleisigen Identität treten die Farben der eigenen Biographie, verschiedene Interessen und die Fähigkeit, Nischen und Arbeitsfelder zu erkennen und in Verbindung zur eigenen Person zu bringen. Die "Marke Ich" zu entwickeln gelingt wohl nur einer Minderheit, für viele ist die Herausforderung zu gross. Und doch werden beispielsweise auch Beamte ein Stück weit Abschied nehmen müssen von überholten Strukturen und Bedingungen.

 Wird eine so ausgeprägt individualistische Selbstentwicklung nicht das soziale Verantwortungsgefühl hemmen?

Sicher gibt es die Furcht vor dem coolen, egoistisch selbstverliebten Lebensgestalter, der sich wenig um mitmenschliche Belange kümmert - meine Untersuchungen haben aber gezeigt, dass das eine Welt ist, vor der man sich fürchtet, die man nicht möchte. Die Befragten sehen sich zwar auf einem individualistischen Weg, ohne aber dabei ihr soziales Umfeld, die Beziehungen vernachlässigen zu wollen. Nicht übersehbar ist zudem, dass auch die Höchstblüte des egoistischen Shareholder-Value-Denkens wohl vorbei ist. Die Suche nach einem neuen Gleichgewicht beginnt.

Soziale, zwischenmenschliche Fragen beschäftigen Andreas Giger auch in seiner Tätigkeit als Freelancer beim Projekt "SeniorWeb". Das von der Pro Senectute und vom Migros Kulturprozent finanzierte Projekt beschäftigt sich mit Fragen des dritten Lebensalters, der Zeitspanne zwischen Pensionierung und etwa fünfundachtzigstem Lebensjahr. Eine Zeit, in der die Menschen weiter aktiv sind: reisen, konsumieren, lieben und lernen. Der in der zweiten Lebensphase äusserst aktive Zukunftsforscher weist darauf hin, dass mittelfristig die Eigenverantwortung für die finanzielle Situation im Alter zunehmen werde, "weg von der Versorgungsmentalität", Ähnliches gelte auch für die Gesundheitspolitik.

 Wird es im Bereich des Zusammenlebens wesentliche Veränderungen geben?

Ich denke, dass sich alle möglichen Formen bereits heute abzeichnen. Zunehmen werden die Patchwork Familien, vielleicht auch die Partnerschaften, in denen man getrennt wohnen bleibt. Gleichgeschlechtliche Verbindungen wer den juristisch möglich werden und als eine von vielen möglichen Lebensformen grösstenteils akzeptiert sein.


 

Der Zukunftsphilosoph betrachtet sein Ich, seine Lebensart immer auch als Beispiel für mögliche Entwicklungen. So lebt er selbst in einer Partnerschaft auf Distanz und ist vor kurzem auch als Fotograf künstlerisch in Erscheinung getreten. Wenn hinlänglich zum Lebenskunstwerk aufgerufen wird, zur eigenverantwortlich-kreativen Ausgestaltung des Daseins, dann gehören Menschen wie Andreas Giger sicher mit dazu. Noch vor zwanzig Jahren wäre es wohl undenkbar gewesen, dass ein Zukunftsphilosoph irgendwo zwischen Bodensee und Säntis gewohnt hätte. Heute, im Internetzeitalter, erscheint seine Art, Leben und Arbeit zu verbinden, als glückliche Kombination, als hohe Lebensqualität.

Andreas Giger betont, dass die Stadt-Land-Unterschiede immer mehr verblassen und hofft, dass sich das Appenzellerland seiner Attraktivität als Arbeits- und Lebensstandort noch bewusster wird. Ein gewisses Mass an Selbstbewusstsein braucht nicht nur der Mensch, auch eine Region oder ein Land lebt nicht ohne. Vielleicht wäre gelegentlich vom "Spargelprinzip" abzukommen, meint Giger abschliessend, von der schweizerischen Eigenschaft, allem was da dem Mittelmass entwächst, den Kopf abzuhauen....

 

APPENZELLER MAGAZIN, JULI 2001:

Text: LISA TRALCI / Bilder: HANS ULRICH GANTENBEIN


In einem Satz im Jahr 2015

Andreas Giger über ...

Luxus wird vorwiegend aus immateriellen Gütern bestehen: Zeit, Freiheit, frische Luft,

Globalisierung wird nicht ab geschlossen sein, sie wird aber trotzdem nur einen eher kleinen Prozentsatz der Menschen im Appenzellerland direkt betreffen, weil sich die Nahräumlichkeit nicht so rasch oder gar nicht verändern wird.

Werte werden ein wichtigeres Thema sein als heute, selbst die Wirtschaft wird erkennen, dass Werte "etwas wert" sind.

Spiritualität bekommt eine grössere Bedeutung, vielleicht heisst sie dann Sinnsuche.

Sexualität/Erotik erfahren kaum wesentliche Veränderungen - wenn Sie aber im Jahre 2015 mehr als eine kleine Gruppen von Menschen finden, die Cybersex betreiben, bekommen Sie eine gute Flasche Champagner von mir!

 

 

 

 

Ein zweites Porträt, diesmal im Zusammenhang mit einer Vorlesung, erschien im Juni 2003 im St.Galler Tagblatt. Sie finden es hier.

Im April 2004 gibt es neues Porträt im St. Galler Tagblatt: "Der Mann, der die Zukunft raubt"