Mit
                der Sphäre des Sinns (siehe vorangegangenes Kapitel) haben wir eine
                Zwischenzone erreicht: Wohl geht es dabei größerenteils noch um sichtbare
                Bereiche wie Kirche oder Beziehungen oder Natur, doch das, worum es eigentlich
                geht, weil daraus der wesentliche Beitrag zu unserer Lebensqualität besteht,
                ist tatsächlich unsichtbar: Sinn. 
              Und
                damit sind wir mitten in den Sphären der Werte gelandet, denn auch Sinn ist ein
                Wert, jedenfalls dann, wenn wir unter Wert das verstehen, was uns etwas wert,
                was uns wichtig ist. Werte beschreiben unsere Vorstellungen davon, wie es sein
                sollte, wie wir es uns wünschen. Sie liefern uns damit Orientierung und
                Entscheidungshilfe. 
              Unsere
                Werte entscheiden sicher nicht allein darüber, wie wir uns entscheiden. Zumal
                sich da noch die leidige Frage nach dem freien Willen stellt. Manche
                Gehirnforscher behaupten ja, dieser freie Wille sei eine Illusion, in Tat und
                Wahrheit seien all unsere so genannten freien Entscheidungen längst durch
                Biologie oder frühe Prägungen festgelegt. Das ist nicht grundsätzlich falsch,
                wohl aber in seinem Absolutheitsanspruch. 
              Der
                Mensch ist das am wenigsten festgelegte Tier, das heißt, er verfügt über die
                größten Freiheitsspielräume. Nehmen wir zum Beispiel die Bonobos, die
                Zwergschimpansen, die mit uns genetisch ziemlich nah verwandt sind, und
                vergleichen deren Sexualverhalten mit unserem: Beiden Gattungen ist
                offensichtlich ein ziemlich starker sexueller Antrieb zu eigen, doch während
                unsere Verwandten diesen Trieb hemmungslos mit Männlein und Weiblein ausleben
                (müssen), gibt es beim Menschen ein breites Spektrum an Verhaltensweisen,
                zwischen denen er auswählen kann, von der dauerhaften Abstinenz bis zur
                Dauermitgliedschaft im Swinger-Club. 
              In
                einem absoluten Sinne ist der Mensch weder frei noch völlig vorbestimmt, es
                gibt vielmehr bestimmte Bereiche, in denen er die Wahl hat. Und in diesen
                Bereichen sind unsere Werte wichtig – als Orientierungs- und
                Entscheidungshilfen. Wobei es uns keineswegs immer bewusst wird, dass wir bei
                Entscheidungen unsere Werte zu Rate ziehen, dieser Abgleich erfolgt oft
                unbewusst. Nur wenn man unter freiem Willen ausschließlich bewusst erwogene und
                gefällte Entscheidungen versteht, ist das ein Argument gegen den freien Willen.
                Wir dagegen gehen davon aus, dass Werte wichtig und wertvoll sind, auch wenn
                sie uns nicht immer bewusst präsent sind. So ist es übrigens auch beim schon
                besprochenen Wert Sinn: In den uns (nachträglich) am meisten mit Sinn gesättigt
                erscheinenden Situationen denken wir überhaupt nicht an Sinn, und wenn wir
                bewusst danach suchen müssen, ist er am weitesten weg.
              Vom
                Wert Sinn lernen wir einen grundsätzlichen Zusammenhang: Mehr Sinn bedeutet
                mehr Lebensqualität. Auch diese Gleichung geht natürlich nicht ewig auf, wenn
                wir zu viel Energie in die Sinn-Suche stecken, fehlt uns diese in anderen
                Lebensqualitäts-Sphären. Doch abgesehen davon gilt: Je besser wir unsere Werte
                verwirklichen können, desto besser ist unsere Lebensqualität.
              Wenn
                Werte einen Idealzustand beschreiben, dann kann unsere reale Situation diesem
                Ideal mehr oder weniger nahe kommen. Je näher wir am Idealzustand sind, desto
                besser haben wir unsere Werte verwirklicht, und umso besser ist unsere
                Lebensqualität. In diese Formel müssen wir allerdings noch die unterschiedliche
                Gewichtung einzelner Werte einfließen lassen. Wenn ein Wert uns sehr wichtig
                ist, bringt seine Realisierung einen höheren Zuwachs an Lebensqualität als bei
                einem weniger wichtigen Wert.
              Damit
                sind wir bei einem Phänomen, das eigentlich selbstverständlich ist und dennoch
                leicht übersehen wird: Es gibt unterschiedliche Werte von unterschiedlicher
                subjektiver Bedeutung. Ihre Werte sind also nicht automatisch auch meine Werte
                – und umgekehrt. Ignorieren wir diese potenzielle Diskrepanz, entstehen
                daraus leicht wüste Kommunikationsstörungen. 
              Tatsächlich
                gehört das Wort Wert zu jenen, die gerne nur im eingeschränkten Sinne verwendet
                werden, frei nach dem Motto „Werte sind das, was ich (oder meine Gruppe) dafür
                hält.“ Christliche Fundamentalisten etwa setzen Werte gleich mit einer
                konservativen Sexualmoral. Und wenn man den Verursachern der Finanzkrise
                vorwirft, sie hätten keine Werte gehabt, so stimmt das nicht. Sie haben sich
                sehr wohl an Werten orientiert – nur leider an den falschen.
              Wir
                dagegen wissen, dass auch die Werte, die für unsere Lebensqualität wichtig
                sind, eine höchst subjektive Landschaft bilden. Und deshalb sollten wir uns
                nicht durch einen eingeschränkten Werte-Begriff einengen lassen, sondern den
                Trichter der für uns möglicherweise wichtigen Werte zu Beginn möglichst weit
                öffnen. 
              Das
                führt uns allerdings in arge Komplexitäts-Probleme. Ich habe mal versucht,
                mögliche Werte zu formulieren, und bin, ohne den Anspruch, bereits wirklich
                vollständig zu sein, auf eine Liste mit nicht weniger als 175 Einzel-Werten
                gekommen. Freundlicherweise haben ein paar hundert Menschen in einem
                entsprechenden Fragebogen diese 175 Einzel-Werte nach ihrer subjektiven
                Bedeutung eingestuft. So konnte ich sehen, ob es in dieser kaum mehr zu
                überblickenden Menge an Werten so etwas wie Muster oder Strukturen gibt,
                bestehend aus Werten, die gehäuft gemeinsam auftreten. 
              Solche
                Muster gibt es, doch sie helfen nur bedingt bei der Reduktion der vorhandenen
                Komplexität. Statistische Analysen liefern zwar erste Ahnungen von Mustern,
                doch um daraus sinnvolle Sphären zu bilden, braucht es zusätzlich eigene
                Überlegungen – und die wiederum können nicht anders sein als subjektiv.
                Wenn ich also im folgenden acht Lebensqualitäts-Sphären im Bereich der Werte
                (und eine neunte, gleichsam übergeordnete) präsentiere und beschreibe, dann
                nicht im Sinne einer endgültigen Kartographie, sondern als Vorschlag einer
                Einteilung, die unumgänglich ist, wenn wir uns in den komplexen
                Werte-Landschaften wenigstens vorläufig zurecht finden wollen. 
              Eine
                erste grobe Einteilung der Werte-Sphären ergibt sich, wenn wir die einzelnen
                Werte nach ihrer Reichweite differenzieren. Wenn wir unser natürliches Weltbild
                zu Grunde legen, bei dem unser Ich immer im Zentrum steht, lassen sich drei
                zwiebelförmige Schalen unterscheiden:
              Die
                innere Schale wird gebildet von allen Werten, die direkt uns selbst betreffen.
                Hier können wir Werte gleichsetzen mit persönlichen Lebenszielen. Und davon
                gibt es reichlich, wovon Sie ein Blick in Ihr eigenes Inneres leicht überzeugen
                dürfte. Diese Lebensziele oder persönlichen Werte lassen sich formulieren mit
                „dass ich ...“ oder „dass mein Leben ...“. 
              Die
                mittlere Schale besteht aus Werten, die das zwischenmenschliche Zusammenleben
                und den Umgang miteinander betreffen. Mit diesen Werten beschreiben wir, was
                wir von unseren Mitmenschen erwarten – und wie wir selbst sein möchten.
                Diese zwischenmenschlichen Werte lassen sich mit Persönlichkeitseigenschaften
                wie „authentisch“ oder „loyal“ formulieren. 
              Die
                äußere Schale schließlich besteht aus Werten, welche die ganze Gesellschaft
                betreffen, beschreiben also so etwas wie eine gewünschte ideale Gesellschaft,
                nach dem Muster „dass Frieden herrscht“ oder „dass wir auch an die nächsten
                Generationen denken“. 
              Unsere
                Lebensqualität hängt sicher (fast) immer von der Verwirklichung unserer
                Lebensziele, also unserer persönlichen Werte ab (erste Schale), und nur etwas
                weniger von der Realisierung unserer zwischenmenschlichen Werte (zweite
                Schale). Das gilt für (fast) alle Menschen. Der Einfluss der dritten Schale,
                also der gesellschaftlichen Werte, ist jedoch verschieden. Manche Menschen
                machen ihre eigene Lebensqualität fast vollständig von derjenigen der ganzen
                Welt abhängig, anderen dagegen ist es völlig wurst, wie die Lebensqualität der
                Welt aussieht, Hauptsache, ihre eigene stimmt...