Was
              für ein Kontrast! Acht Jahre lang mussten wir auf eine amerikanische Regierung
              blicken, die das Prinzip des Eigennutzens in Reinkultur verkörperte: Was
              interessiert uns der Rest der Welt, so lange wir weiterhin Reichtümer anhäufen
              können. Und was interessiert uns die Zukunft, so lange wir in der Gegenwart
              genug verprassen können. Dass aus einer so total egozentrischen Grundhaltung
              heraus groteske Fehleinschätzungen von Gegenspielern entstehen müssen, versteht
              sich von selbst.
            Und
              jetzt das. Eine Regierung, die wieder von der Übernahme von Verantwortung
              spricht – und dafür auch Resonanz findet. Zu hoffen bleibt, dass es sich
              bei dieser Akzentverschiebung um eine echte Zäsur handelt – dringend
              nötig wäre sie. Und zwar nicht nur wegen des Zustands der Welt – das
              natürlich auch. Sondern weil die Übernahme von Verantwortung eine wichtige
              Sphäre unserer Lebensqualität bildet.
            Im
              Zuge der Individualisierung haben wir gelernt, Verantwortung für uns selbst zu
              übernehmen. Das heißt, wir haben gerade mal angefangen, das zu lernen, wir
              können da noch besser werden und werden das auch schaffen. Verantwortung für
              sich selbst zu übernehmen ist, auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen,
              nicht nur die unabdingbare Basis zur Verbesserung unserer eigenen
              Lebensqualität, sondern auch die Voraussetzung für die Übernahme von
              Verantwortung, die über unser kleines hautverkapseltes Ego hinausgeht.
            Und
              dieser Schritt über den Gartenzaun des eigenen Ichs hinweg ist jetzt gefordert.
              Gar nicht so sehr aus moralischen oder ethischen Erwägungen, sondern aus ganz
              handfesten und durchaus eigennützigen Gründen. In einer immer enger miteinander
              verflochtenen Welt sind wir vom Zustand derselbigen so abhängig, dass es ein
              Gebot der Klugheit ist, sich um diesen Zustand zu kümmern. Und zwar
              rechtzeitig. Wir müssen ja nicht warten, bis unsere Kinder wegen schlechter
              Luft husten, ehe wir etwas gegen diese unternehmen...
            Überhaupt
              hat die Ausweitung unseres Verantwortungs-Horizonts sowohl eine räumliche als
              auch eine zeitliche Komponente. Neben der räumlichen über den eigenen Zaun
              hinaus ist auch eine zeitliche Ausdehnung gefordert, sprich die Frage, was
              Entscheidungen von heute für Auswirkungen haben könnten, und zwar nicht nur
              morgen, sondern auch übermorgen. Zu berücksichtigen, dass auch spätere
              Generationen ein Anrecht haben, mit hoher Lebensqualität auf diesem Planeten zu
              leben, ist der eigentliche Sinn des oft gebrauchten und nicht so oft
              verstandenen Begriffs der Nachhaltigkeit.
            Ob
              wir diese dringend nötige Ausdehnung unseres Verantwortungs-Horizonts schaffen
              können, ist natürlich eine andere Frage. Ihre Beantwortung hängt letztlich von
              unserer Sicht des Menschen und dessen Evolution ab. Aus einer eher
              pessimistischen Perspektive sieht die Sacher gar nicht gut aus. Demnach nämlich
              ist unser Gehirn letztlich in der Steinzeit stecken geblieben, was deshalb
              nicht so erstaunt, weil die Menschheit 99 Prozent ihrer Geschichte in eben
              derselbigen verbracht hat. In der Steinzeit aber, so dieses Modell, reichte
              unser Verantwortungs-Horizont nicht über die eigene kleine Sippe hinaus, und
              angesichts des täglichen Kampfs ums Überleben kam logischerweise niemand auf
              die Idee, über den nächsten Tag, oder bestenfalls den nächsten Winter, hinaus
              zu denken. 
            Wir
              Menschen scheinen tatsächlich nicht besonders gut darin, langfristig zu denken
              und zu planen. Man sieht das im Berufs- wie im Privatleben: Im Zweifelsfall
              wird das Dringliche, also das kurzfristig Wichtige, immer dem langfristig
              vermutlich noch viel Wichtigeren vorgezogen. Und auch räumlich scheinen wir auf
              Nähe gepolt. Jeder Macher einer Lokalzeitung weiß, dass der überfahrene Hund in
              der eigenen Straße mehr interessiert und anrührt als eine  verheerende Überschwemmung irgendwo in
              Hinterasien. Sind wir also gefangen in diesen offenkundigen Begrenzungen
              unseres Horizonts?
            Zum
              Glück gibt es auch eine optimistischre Sicht auf die Evolution des Menschen.
              Demnach hat sich diese gerade im letzten Prozent unserer Geschichte, also in
              den zehntausend Jahren Sesshaftigkeit, deutlich beschleunigt, und zwar nicht
              auf der Ebene der Gene, also der Baupläne für unser Gehirn, sondern in den
              aufgebauten und genutzten Verbindungen innerhalb unseres Gehirns, also im
              Austausch zwischen einzelnen Gehirnzellen und -arealen. Und darauf kommt es
              schließlich an.
            Übersetzt
              heißt diese Botschaft: Wir Menschen sind sehr wohl lernfähig. Das haben wir im
              Laufe unserer Geschichte, auch eingedenk aller Rückschläge, immer wieder
              bewiesen. Und so weit müssen wir nicht einmal schauen: Auch unsere ganz
              persönliche Geschichte ist eine Geschichte von erwiesener Lernfähigkeit.
              Sicher, so schnell, wie wir es gerne hätten, lernen wir in der Regel weder als
              Individuum noch als Gemeinschaft, aber am Ende kapieren wir das Erforderliche
              dann meistens doch noch. 
            Vielleicht
              reicht die Zeit ja wirklich nicht, um eine nachhaltigere, ökologischere,
              sozialere, gerechtere, friedlichere  - kurz bessere – Welt zu schaffen, bevor sie der Kollaps ereilt.
              Wissen können wir das nicht, und deshalb sollten wir es wenigstens versuchen.
              Schon im ureigensten Interesse. Was zusammen mit einem ausgeweiteten
              Verantwortungs-Horizont ganz schön wirkungsvoll sein kann.
            Sich
              als Teil eines Ganzen zu empfinden, das größer ist als man selbst, und dafür
              auch Verantwortung zu übernehmen, verlangt nicht nur nach Engagement, sondern
              gibt auch etwas zurück. Nicht irgendetwas, sondern unsere guten alten
              Bekannten: Orientierung. Identität. Sinn. Und damit Lebensqualität. Mag sein,
              dass es für manche Menschen Lebensqualität bedeutet, sich ins eigene Gärtlein
              zurückzuziehen und den Rest der Welt samt Zukunft auszublenden. Den meisten
              geht es mit einem so engen Verantwortungs-Horizont nicht gut, weil sie sich
              damit von der Welt und vom Leben abschneiden. 
            Ungesund
              ist wie immer natürlich auch die Übertreibung ins Gegenteil. Wer unter der Last
              der Verantwortung für die ganze Welt und auch für die Zukunft des ganzen
              Planeten ächzt und stöhnt und fast zusammenbricht, kann eigentlich keine
              besonders hohe Lebensqualität empfinden. Wir sind als Einzelne nicht für das
              ganze Elend der Welt verantwortlich, und dieses kann auch kein ausreichender
              Grund sein, ständig in Sack und Asche zu gehen. 
            Wir
              würden es als absurd bezeichnen, eine einzelne Gehirnzelle für den Zustand des
              ganzen Gehirns verantwortlich zu machen. Diese einzelne Zelle kann nicht allein
              für ein besseres Gehirn sorgen, und sie muss es zum Glück auch nicht.
              Allerdings hat jede einzelne Gehirnzelle sehr wohl einen Einflussbereich,
              innerhalb dessen sie zu einem insgesamt besseren Gehirn  beitragen kann. Sie kann nämlich dafür
              sorgen, selbst möglichst kompetent und fit und wach zu sein. Und sie kann dazu
              beitragen, dass der Austausch mit ihren Nachbarzellen noch besser klappt. 
            Die
              Parallelen liegen auf der Hand: Wir brauchen uns in Sachen Verantwortung für
              eine bessere Welt nicht zu überheben. Vielmehr hilft es unserer und der
              allgemeinen Lebensqualität am meisten, wenn wir die Spielräume dafür in unserer
              Einfluss-Sphäre voll ausnutzen. Womit wir ohnehin ziemlich ausgelastet sein
              dürften...