Als
              ich vor etlichen Jahren die zu meinem Netz Gehörigen mal fragte, was sie als
              größten Lebensqualitäts-Killer beim Konsum empfänden, war die Antwort
              eindeutig: mangelnder Respekt von Seiten des Anbieters. Dabei tauchte das Wort
              Respekt gar nicht als solches auf. Vielmehr standen da Klagen über gestohlene
              Zeit, über das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, darüber, dass nicht
              meine Werte zählen, sondern nur mein Geld, über Beleidigungen von Auge und/oder
              Verstand, über übergriffige Verkaufsmaßnahmen und benutzerfeindliche Angebote. 
            Respekt
              hat offenbar viele Facetten, doch im Zentrum steht immer eine zentrale
              Erwartung: Respektiert zu werden heißt, dass sich unser Gegenüber ein Stück
              weit in uns hinein versetzt, dabei unsere Bedürfnisse und Wünsche erahnt und
              entsprechend handelt, beziehungsweise uns behandelt. Das ist keine utopische
              Vorstellung. Wie neue Forschungsergebnisse zeigen, haben wir Menschen (und
              etliche andere Tiere) im Gehirn so genannte Spiegelzellen. Damit können wir uns
              so sehr in andere Artgenossen hinein versetzen, dass wir deren Empfindungen und
              Gefühle übernehmen oder eben spiegeln, auch wenn wir selbst gar nicht direkt
              betroffen sind. Somit können wir davon ausgehen, dass die biologischen
              Voraussetzungen für Respekt gegeben sind.
            Nutzen
              müssen wir diese Möglichkeit allerdings schon noch selbst, und daran scheint es
              gelegentlich zu hapern, wie die eingangs zitierten Klagen über mangelnden
              Respekt deutlich machen. Dabei liefert uns die Entdeckung der Spiegelzellen
              doch den Schlüssel: Respekt funktioniert spiegelbildlich. Wenn also ein
              Anbieter ernsthaft mehr Respekt für seine Kunden entwickeln wollte, müsste er
              sich nur für einen Moment in deren Haut versetzen und sich fragen, was er gerne
              hätte, wenn er Kunde wäre. Das wäre theoretisch nicht so schwer, weil die
              meisten Anbieter zwischenrein auch Kunden sind. Dass es so selten geschieht,
              liegt also offenbar eher am mangelnden Willen zum Respekt.
            Das
              spiegelbildliche Prinzip von Respekt äußert sich sehr schön in der bekannten
              Maxime zum Umgang miteinander: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg
              auch keinem andern zu! Gut, der große Philosoph Kant hat dieses Prinzip in
              seinem kategorischen Imperativ noch etwas schwulstiger formuliert, aber es
              läuft immer auf dasselbe hinaus: Respekt setzt voraus, sich in sein Gegenüber
              zu versetzen und für eine kurze Simulation dessen Perspektive zu übernehmen. 
            Dann
              nämlich fällt es uns leicht, dieses Gegenüber so zu behandeln, wie wir gerne
              selbst behandelt würden. Zu Unrecht belächelte Tugend wie Verlässlichkeit,
              Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Treue oder Loyalität werden zur
              Selbstverständlichkeit. In einem Klima gegenseitigen Respekts gedeiht unsere
              Lebensqualität nun mal am besten. 
            Zu
              diesem Klima gehört allerdings noch ein bisschen mehr als der Minimalstandard
              der erwähnten selbstverständlichen zivilisatorischen Tugenden. Respekt
              beinhaltet immer auch die Anerkennung des Gegenübers, was sich zu Achtung und
              Hochachtung steigern lässt. Basis dafür ist wiederum ein grundsätzliches
              Interesse am Anderen, Offenheit und Toleranz ihm gegenüber, und ein gesundes,
              das heißt echtes Selbstbewusstsein, das überhaupt erst einen Dialog auf
              gleicher Augenhöhe ermöglicht. Die Sphären von Echtheit, Offenheit und Respekt
              haben also viele offene Grenzübergänge.
            Darüber
              hinaus weist die Sphäre des Respekts eine weitere Öffnung und Erweiterung auf.
              Nachdem die bisher behandelten Lebensqualitäts-Sphären doch immer das eigene
              Ich im Zentrum hatten, steht in dieser Sphäre jetzt eindeutig der Aspekt der
              Beziehung im Mittelpunkt. Ausgangspunkt sind dabei natürlich direkte
              zwischenmenschliche Beziehungen. Doch wie die eingangs zitierte Frage nach
              Lebensqualitäts-Killern beim Konsum zeigt, lässt sich das Prinzip des Respekts
              auch auf anonymere Beziehungen übertragen, etwa auf jene zwischen einem
              Unternehmen und seinen Kunden. 
            Respekt
              heißt auch in solchen Beziehungen, dass beide Seiten sich auf gleicher
              Augenhöhe gegenüber stehen und Lösungen entwickeln, die beiden nützen. Einander
              auszunutzen oder übers Ohr zu hauen, verträgt sich damit natürlich nicht. Sein
              Gegenüber zu respektieren – im Sinne von anerkennen, achten und ernst
              nehmen – dagegen sehr wohl.
            Und
              wenn Respekt schon bei direkten zwischenmenschlichen und bei anonymeren
              Beziehungen als enormer Lebensqualitäts-Förderer funktioniert, könnten wir das
              Prinzip doch eigentlich gleich noch ausweiten und so etwas wie Respekt
              gegenüber dem größeren Ganzen entwickeln. Zum Beispiel gegenüber der Natur.
              Oder gegenüber anderen Kulturen. Auch da ist ein respektvollerer Umgang als
              bisher dringend gefragt. Und bildet zudem die Voraussetzung für einen
              nachhaltigeren, von Verantwortung geprägten Umgang mit unserer Umwelt und der
              Zukunft. (siehe nächstes Kapitel, Die Sphäre der Nachhaltigkeit)
            Wenn Respekt ein so
              wertvoller Wert ist, liegt die Frage nahe, was wir tun können, um ihn zu
              fördern. Den Wert hoch zu halten, gegenüber anderen ebenso wie gegenüber sich
              selbst, ist das eine. Nach dem Motto zu handeln „schenke ein Lächeln, und du
              bekommst eines“, ist ein zweites, denn das funktioniert natürlich auch mit
              Respekt.
            Wenn wir schon beim
              Austauschen von Wörtern sind, finden wir in der berühmten biblischen Devise
              „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ einen weiteren Tipp. Dieser Hinweis auf
              die enge Verzahnung von Selbst- und Nächstenliebe hat nämlich Gültigkeit weit
              über seine christliche Fundierung hinaus. Nun ist Liebe allerdings ein hoher
              Anspruch. Wir können nicht alle unsere Mitmenschen lieben, und auch uns selbst
              lieben wir nicht in jedem Moment gleich stark, ja, manche Aspekte von uns
              kommen uns reichlich fremd und wenig liebenswert vor. Ersetzen wir Liebe jedoch
              durch Respekt, lautet das Motto jetzt: „Respektiere deinen Nächsten wie dich
              selbst!“ Das klingt doch schon wesentlich realistischer...
            Auch die weniger geliebten
              Seiten von uns selbst und von unseren Mitmenschen können wir wenigstens
              respektierten. Wir können lernen, sie zu akzeptieren, ohne sie ständig bewerten
              zu müssen. Und wir können, wenn wir sie dennoch ändern möchten, den feinen
              Unterschied zwischen überreden und überzeugen erkennen und anwenden.
            Echten Respekt für sich
              selber zu entwickeln, ist die beste Schule für den Respekt für andere. So wird
              unversehens aus einem Wert, der wie kein anderer für die Außenwelt geschaffen
              schien, doch auch wieder einer für die Innenwelt. Was die Bedeutung der Sphäre
              des Respekts für unsere Lebensqualität nicht schmälert, im Gegenteil...