
            Ein
              Cartoon aus der berühmten „Peanuts“-Reihe: Lucy und Linus blicken in ein
              sternenübersähtes All. Lucy erklärt über drei Zeichnungen hinweg: »Das Weltall
              ist viel zu groß... So viel Platz brauchen wir wirklich nicht... Die meisten
              der Sterne und Planeten sind viel zu groß! Das gesamte Sonnensystem müsste
              angepasst werden...« In der vierten Zeichnung fragt Linus zurück: »Was können
              wir da so als Einzelner tun?«
            Die
              Komik dieser Situation entsteht natürlich aus dem krassen Missverhältnis
              zwischen der gestellten Aufgabe, nämlich der Renovation des Weltalls, und den
              bescheidenen Kräften eines einzelnen irdenen Menschleins. So ähnlich müsste es
              auch einer einzelnen Gehirnzelle gehen, wenn ihr zugemutet würde, für einen
              Kurswechsel des ganzen Gehirns zu sorgen. Das wäre eine glatte Überforderung,
              ist doch eine einzelne Gehirnzelle, mit Verlaub, nicht besonders intelligent.
            Zum
              Glück aber gibt es in unserem Gehirn etwa hundert Milliarden einzelner
              Gehirnzellen. Doch auch das wäre noch nicht sehr beeindruckend, wenn nicht jede
              einzelne Zelle mit etwa tausend anderen verbunden wäre und somit mit diesen
              Informationen austauschen kann. Noch wissen wir längst nicht alles über unser
              Gehirn und seine Funktionsweise, aber eines steht fest: Es ist diese enorme
              Vernetzung zwischen den einzelnen Gehirnzellen, die so wunderbare Leistungen
              wie eine Beethoven-Symphonie hervorbringt. 
            Auch
              bei anderen Gesamtorganismen, die sich aus relativ dummen Einzelwesen
              zusammensetzen, etwa bei Ameisenstaaten, lässt sich dieses Phänomen beobachten:
              Erst die Vernetzung, also der Informationsaustausch zwischen vielen
              Einzelelementen, hebt das Ganze auf jene höhere Stufe, auf der es wirklich mehr
              ist als die Summe seiner Teile. 
            So
              fern liegt es also nicht, auch menschliche Gemeinschaften und Gesellschaften
              als solche Gesamtorganismen zu betrachten, deren Einzelelemente dann wir
              Individuen wären. Das hat allerdings den für unser Selbstwertgefühl
              unangenehmen Nebeneffekt, dass wir uns Einzelmenschen – verglichen mit
              dem Ganzen – auch als „nicht sehr intelligent“ bezeichnen müssen. Was ja,
              immer relativ gesehen, so falsch nicht ist: Als Gemeinschaft sind wir
              tatsächlich zu Leistungen fähig, die weit außerhalb der Reichweite eines
              Individuums liegen. Vernetzung ist also auch für menschliche Gemeinschaften ein
              Erfolgsgeheimnis.
            Informationsaustausch
              spielt bei allen Lebewesen, die in Gemeinschaften leben, eine wichtige Rolle,
              und die Evolution hat dafür diverse effiziente Kommunikationsformen entwickelt.
              Bei der Gattung Mensch hat sich diese Entwicklung beschleunigt und
              intensiviert. Erst kam die Sprache, dann die Schrift, dann der Buchdruck als
              wirksame Methode für die Verbreitung von Schriften. Es folgte die Erfindung von
              Telefon, Radio und Fernsehen – und dann die große Digitalisierung aller
              Information im Computer und deren Vernetzung via Internet. Mittlerweile sind
              wir theoretisch fast am Ziel aller Träume in Sachen Informationsaustausch: Jede
              Information ist überall auf dem Globus jederzeit und ohne Zeitverzögerung
              zugänglich.
            Vor
              über zwanzig Jahren habe ich mal einen originellen Gesellschaftstheoretiker
              kennen gelernt, der auch für die Informatikindustrie arbeitete. Er vertrat die
              These, die zunehmende digitale Vernetzung der Menschheit führe zu einem „Global
              Brain“, also zu einer Art Superorganismus, dessen Leistungsfähigkeit dank
              intensiver Vernetzung sich von den Möglichkeiten eines Einzelmenschen so sehr
              unterscheiden werde wie die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns im Vergleich zu
              jener einer einzelnen Gehirnzelle. 
            Diese
              Aussicht empfand ich damals uneingeschränkt als Verheißung, so als ob ein
              globales kollektives Bewusstsein automatisch zu paradiesischen Verhältnissen
              führen müsse. Nach den Erfahrungen mit der Finanzkrise bin ich da nicht mehr so
              sicher. Schließlich sind all die Banken und Anlageinstitutionen weltweit
              perfekt miteinander vernetzt, dem gegenseitigen Borgen und Leihen und Fließen
              von Geldströmen steht nichts mehr im Wege. So perfekt funktioniert diese
              Vernetzung, dass zum Schluss niemand mehr weiß, wer wem wie viel schuldet
              – einer der Gründe, die das Finanzsystem in den Schlamassel geritten
              haben.
            Eigentlich
              wäre es ja absehbar gewesen, dass ein globales Gehirn nicht automatisch ins
              Paradies führt, schließlich produziert auch ein menschliches Einzelgehirn
              sowohl Paradiesisches als auch Höllisches. Wir können also nicht einfach auf
              die Entstehung eines globalen Gehirns warten und hoffen, damit werde alles gut,
              wir müssen schon auch darauf achten und Einfluss nehmen, was in diesem Gehirn
              abgeht. 
            Womit
              wir wieder bei der Frage wären, wie wir gemeinsam den Wandel vom Lebensstandard
              zur Lebensqualität schaffen. Selbstredend stoßen wir auch hier wieder auf das
              Vernetzungsprinzip, denn ohne Austausch gibt es keine Ansteckungs-Chancen für
              die von uns so hoch geschätzten Lebensqualitäts-Meme.
            Ein
              guter alter Freund hat mir neulich von seiner Schwester erzählt, die zusammen
              mit ihrem Mann und ein paar guten Freunden irgendwo in der Provinz lebt.
              Zweifellos führe dieses Grüppchen ein vorbildliches Leben im Sinne des
              Leitwerts Lebensqualität, gehöre mit Sicherheit zur Bewusstseins-Elite und sei
              damit die ideale Trägerschaft für unsere Werte-Wandel-Meme. Nur eben: Dieses
              Fähnlein der sieben Aufrechten lebe ein sehr auf die inneren Beziehungen
              ausgerichtetes, selbstgenügsames Leben mit sehr wenig Außenkontakten. Ähnliches
              kann man einer aktuellen Studie über die viel gerühmten LOHAS entnehmen, die
              Anhänger eines Lebensstils der Gesundheit und der Nachhaltigkeit. Auch in
              diesem Milieu spielen Selbstgenügsamkeit und Zurückgezogenheit eine große
              Rolle. Wir haben es also mit Trägern der Lebensqualitäts-Meme zu tun, die sich
              zwar haben anstecken lassen, aber wegen ihrer isolierten Insellage wenig zur
              weiteren Ausbreitung dieser Meme beitragen. 
            Und
              das ist im Sinne des Wandels vom Lebensstandard zur Lebensqualität natürlich
              alles andere als ideal. Für eine erfolgreiche Ausbreitung der
              Lebensqualitäts-Meme braucht es drei Elemente: Zunächst das Bewusstsein der
              bereits „Angesteckten“, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Dann die
              Erkenntnis, dass sie nicht allein sind. Und schließlich die Bereitschaft, sich
              zu vernetzen und auszutauschen – mit Gleichgesinnten und mit Menschen,
              die andere Standpunkte vertreten. Ohne das funktioniert Moses 2.0 nicht...