Moses
              – in unserer fiktiven Geschichte natürlich – hat mittlerweile
              Zugang zur Welt und damit auch zum ganzen im Internet zugänglichen Wissen. Dort
              findet er ein Zitat von Victor Hugo, das direkt mit seinem Thema zu tun hat:
            „Einer
              Invasion von Armeen kann man Widerstand leisten, aber keiner Idee, deren Zeit
              gekommen ist.“
            Und
              dann macht er sich auf die Suche nach Informationen über die Meme und die
              Memetik, die Wissenschaft von der Ausbreitung von Memen. Und weil er assoziativ
              denkt, stößt er auf ein verwandtes Wort, nämlich Memory, und lernt, dessen
              Geschichte als die Geschichte eines Mems zu verstehen. Damit wir alle aus der
              Geschichte vom Mem namens Memory lernen können, hier zunächst die Fakten, wie
              sie sich in Wikipedia präsentieren:
            »Memory
              (nach englisch memory =
                Gedächtnis) ist eine von Ravensburger eingetragene Marke für ein bekanntes
                Gesellschaftsspiel nach dem pairs-Prinzip: Paare gleicher, verdeckt
                aufliegender Kärtchen müssen durch Aufdecken im Wechsel der Spieler erkannt
                werden.
            Das
              Ravensburger Memory ist inspiriert vom so genannten Zwillingsspiel der Basler Autorin Berta von Schroeder, welchem
                kommerziell kein Erfolg beschieden war und welches seinerseits Vorläufer hatte.
                Dieses als Zwillingsspiel bezeichnete Spiel gelangte 1946 nach London zum
                Schweizer Militärattaché William Hurter. Das von ihm weiterentwickelte
                Legekartenspiel erschien nach seiner Rückkehr in die Schweiz erstmals 1959 im
                Verlag Otto Maier in Ravensburg (heute Ravensburger Spieleverlag), nachdem ein Versuch, das Spiel bei Edition Carlit
                  herauszugeben, erfolglos war, weil Edition Carlit bereits ein ähnliches Spiel
                  mit dem Namen Punta führte. Zur
                    Entstehung des Namens sagte der langjährige Verlagsleiter und Spielexperte
                    Erwin Glonnegger: «Als ich ihn (Hurter) damals gefragt habe, wie heißt das Spiel eigentlich, sagte er: Na,
                      ja, wir haben da keinen so richtigen Namen dafür, in Basel heißt das Spiel
                      "Zwillingsspiel", aber die Nachbarskinder, wenn die immer kamen zum
                      Spiel, oder wenn sie spielen wollten, sagten die: Let's play your memory game.
                      Da sagte ich: Da haben wir doch einen Titel, den nehmen wir.» 
            Das
              Ravensburger Memory, von dem bis heute mehr als 50 Millionen Kopien in 70
              Ländern verkauft wurden, wird vom Verlag als sein größter Erfolg bezeichnet.
              Mittlerweile gibt es regelmäßige Turniere.«
            Was
              lernen wir nun daraus? Zunächst, was ein Mem ist. In der Theorie wird ein Mem
              als „konzeptuelle Informationseinheit“ definiert – nicht sehr
              anschaulich. Das Spiel Memory dagegen ist ein gut nachvollziehbares Beispiel
              für ein Mem. Auch eine Melodie oder ein Malstil sind ein Mem, bestimmte
              Tischsitten ebenso wie eine politische oder wissenschaftliche Idee. Und
              natürlich auch der Slogan „Vom Lebensstandard zur Lebensqualität“. 
            Ein
              solches Mem, so erfahren wir weiter, entwickle sich zuerst im Fühl- und
              Denkvermögen eines Individuums, werde durch Kommunikation weiterverbreitet und
              könne sich durch individuelles Nachdenken und durch Kontakt mit anderen Memen
              entwickeln. All diese Elemente finden wir beim Mem Memory. Zuerst im Kopf einer
              weiblichen Autorin erdacht, wurde es von einem Militärattaché (sic!)
              weiterentwickelt und verbreitet. 
            Interessant
              ist der Verweis auf Vorläufer der Spielidee, die bis ins Japan des 16.
              Jahrhunderts reichen sollen. Das Spiel hat also einen Prozess der Evolution
              durchlaufen, ehe es seine heutige Form erreicht hat. Überhaupt entstehen neue
              Meme selten blitzartig aus dem Nichts, sie haben vielmehr ihre Vorfahren, und
              es gibt mehr oder weniger intensive verwandtschaftliche Beziehungen zwischen
              ihnen. Das klingt doch wirklich verdächtig nach einer Parallele zur Entwicklung
              der biologischen Arten, oder nicht?
            Der
              Unterschied zwischen einer biologischen Art und einem Mem liegt natürlich
              darin, dass wir es bei einer Art immer mit etwas Materiellem und damit konkret
              Fassbarem zu tun haben, während Meme wie etwa eine philosophische Idee für
              immer immateriell bleiben können. Allerdings können wir eine biologische Art
              auch als materielle Verkörperung einer immateriellen Information betrachten.
              Diese Information ist gespeichert im Genom der Art, also in deren gemeinsamen
              Genen. 
            Und
              tatsächlich gibt es unter radikalen Darwinisten die Meinung, der eigentliche
              Akteur des Lebens seien die „egoistischen Gene“, deren höchstes Ziel es sei,
              die in ihnen gespeicherten Informationen zu vervielfältigen und damit
              nachhaltig ihre Existenz zu sichern. In dieser Betrachtungsweise steht also
              nicht das Gen als Informationsträger noch gar das konkrete Lebewesen als
              Verkörperung dieser Information im Zentrum, sondern die reine Information.
              Womit wir dann Gleichstand zwischen Genen und Memen hätten – beide sind
              im Wesentlichen reine immaterielle Information.
            Ebenso
              radikale Anhänger der Memetik unterstellen den Memen einen ähnlichen
              eingebauten Drang zu Vervielfältigung und Ausbreitung wie den Genen. So weit
              brauchen wir gar nicht zu gehen, das heißt, wir können die Frage ruhig offen
              lassen, und erkennen dennoch auch hier eine Parallele: Meme tendieren dazu,
              sich auszubreiten. Ohne diese Tendenz, woher auch immer sie genährt wird, gäbe
              es keine kulturelle Evolution. Im Klartext: Es würde sich nie was ändern, und
              wir würden immer noch in der Steinzeit leben.
            Wenn
              ein Mem einmal im Kopf eines Individuums entstanden ist und sich ausbreiten
              möchte, hat es einen wesentlichen Nachteil gegen über der genetischen
              Information. Anders als diese hat es nämlich keinen automatisch zur Verfügung
              stehenden Informationsträger wie die Gene, die jederzeit Kopien von sich
              herstellen und neue Individuen daraus basteln können. Sofern es sich um ein
              einigermaßen entwickeltes Lebewesen handelt. Nicht alle Gene können direkt neue
              Lebewesen produzieren. Viren zum Beispiel brauchen dafür einen Wirt, in den sie
              sich einnisten und ihn veranlassen, neue Viren zu produzieren. Die der Wirt
              dann aushustet, um neue Wirte anzustecken.
            Exakt
              in dieser Lage befindet sich unser Mem. Es braucht Wirte, um sich einzunisten
              und um sich zu vervielfältigen. Und es braucht für diese Ansteckung ein Medium.
              Eines der Kommunikation natürlich. Das kann gesprochene Sprache sein oder ein
              Bild. Je bessere Kommunikationsmedien zur Verfügung stehen, desto größer die
              Chance für das Mem, andere Wirte anzustecken und sich auszubreiten. Im Falle
              von Memory besteht das Medium aus 64 bedruckten Kartonkärtchen in einer
              Schachtel. Ein hochwirksames Medium offensichtlich, bedenkt man die 50
              Millionen verkaufter Spiele...
            Natürlich
              reicht das Medium nicht aus, um den Ausbreitungserfolg des Mems Memory zu
              erklären. Als Gesellschaftsspiel ist die Art Memory beispielsweise Teil einer
              gut eingeführten Gattung, nämlich eben jener der Gesellschaftsspiele, was seine
              Ausbreitung erleichterte. Dann ist das Mem eines von der einfachen Sorte
              – und einfache Meme haben es immer leichter als komplexe. Wie die
              Geschichte mit dem Namen zeigt, wurde bei Memory, mehr aus Zufall den aus
              Strategie, ein geschicktes „Branding“ betrieben, das heißt, man gab dem Ding
              einen attraktiven Namen, was auch nie schaden kann.
            Und
              schließlich muss ein erfolgreiches Mem auch Saiten in seinen potenziellen
              Wirten zum Schwingen bringen, die dort schon da sind. Bei Memory üben wir
              Fähigkeiten, die wir schon immer gut gebrauchen konnten, wenn wir uns merken
              sollten, hinter welchen Felsen schon wieder die mögliche Beute Gazelle oder der
              bedrohliche Feind Säbelzahntiger verschwunden waren. Auch diese Erkenntnis
              müsste Moses eigentlich weiter helfen: Ein Mem breitet sich nur dann
              erfolgreich aus, wenn es bei genügend potenziellen Wirten eine Resonanz
              auslöst...